1950: Am Galgen – wegen Regierungskritik

Dass es eine Frau namens Milada Horáková überhaupt gibt, habe ich erst nach meinem Umzug nach Prag erfahren. Eine Straßenbahnhaltestelle in Letná trägt ihren Namen. Letná ist so ein Hipster-Viertel Prags. Es gibt dort einen riesigen Biergarten mit Blick über die Stadt, das Letna-Plateau, wo man gegen die Zerstörung der Demokratie protestiert – und das Innenministerium, wo ich zehn Jahre gearbeitet habe. Heute, zum Glück, werden dort keine Unschuldigen mehr zum Tode verurteilt.

Wer war Milada Horáková?

Milada Horáková wurde 1901 in Prag geboren, in einer Zeit, in der die alte Welt ins Wanken geriet und Frauen gerade erst begannen, für ihre Rechte zu kämpfen. Schon als junge Frau nahm sie an Demonstrationen für das Frauenwahlrecht teil – tschechoslowakische Frauen erhielten dieses Recht im Jahr 1918, und erstmals wählen durften sie 1920.

Milada Horáková studierte Jura und widmete ihr ganzes Leben dem Kampf für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Genau das wurde ihr zum Verhängnis.

Widerstand im Zweiten Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkriegs engagierte sich Horáková im tschechischen Widerstand. Sie nutzte ihre Kontakte aus der Politik, aus intellektuellen Kreisen und unter Juristen, um Verbindungen zu Widerstandsgruppen herzustellen. Aktiv beteiligte sie sich an der Petition „Wir bleiben treu“ – gerade diese Gruppe versuchte, den Boden für ein zukünftiges demokratisches Tschechoslowakien zu bereiten.

Im August 1940 wurde sie von der Gestapo verhaftet und verbrachte mehrere Jahre in Haft – zunächst in Prag auf der Pankrác, dann in Konzentrationslager Theresienstadt und später in Deutschland. 1944 stand sie vor dem Volksgerichtshof in Berlin. Die Anklage forderte die Todesstrafe, doch Horáková verteidigte sich mit so viel Sachlichkeit und Ruhe, dass sie „nur“ zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Die letzten Kriegsmonate verbrachte sie im Frauengefängnis Aichach in Bayern, wo sie im April 1945 von der US-Armee befreit wurde. Es ist erschütternd, dass sie dem Tod durch die Nazis entkam, nur um fünf Jahre später von ihrem eigenen Staat hingerichtet zu werden.

JUDr. Milada Horáková

Ein „Verbrechen“: freie Meinung

1946 wurde sie ins Parlament gewählt. Nach dem kommunistischen Umsturz im Februar 1948 floh sie nicht ins Exil wie viele andere. Sie blieb. Und sie sprach offen. Sie kritisierte die neuen Machtverhältnisse, setzte sich für politische Gefangene ein, verteidigte die Meinungsfreiheit. Das machte sie für das neue Regime gefährlich. Zuerst wurde ihr die politische Befugnis entzogen, dann legte sie selbst ihr Mandat nieder und schloss sich dem antikommunistischen Widerstand an. Sie wollte nur das Beste für ihr Land.

1949 wurde sie verhaftet und wegen Hochverrats, Spionage und Umsturzversuch angeklagt. In Wirklichkeit handelte es sich um einen inszenierten Schauprozess nach sowjetischem Vorbild. Ziel war es, die Gesellschaft einzuschüchtern und zu zeigen, was mit Menschen passiert, die es wagen, anders zu denken.

Ein Schauprozess mit Todesfolge

Die Hauptverhandlung begann im Juni 1950. Sie wurde im Radio übertragen, angeblich „spontane“ Briefe von Hörern forderten die Todesstrafe – Teil eines absichtlich erzeugten, tödlichen Theaters. Für die Angeklagten war es aber bitterer Ernst – grausam, bedrückend, ausweglos.

Milada Horáková verhielt sich während des Prozesses unglaublich tapfer. Sie sprach ruhig, ohne Hysterie. Sie gab zu, dass sie mit dem kommunistischen Regime nicht einverstanden sei – aber sie wies entschieden zurück, ihre Heimat verraten zu haben. Ihre Worte waren sachlich, ehrenhaft und zutiefst menschlich. Selbst der Richter soll zeitweise von ihrer Würde irritiert gewesen sein.

Hinrichtung und Vermächtnis

Am 8. Juni 1950 wurde sie zum Tod verurteilt – gemeinsam mit drei weiteren Angeklagten. Gegen das Urteil protestierten weltweit Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Winston Churchill und Eleanor Roosevelt. Es half nichts. Das Regime wollte ein Zeichen setzen. Und ehrlich gesagt: Auch heute sehen wir solche Zeichen noch – denken wir nur an Russland.

Milada Horáková wurde am 27. Juni 1950 in den frühen Morgenstunden im Prager Gefängnis Pankrác gehängt. Ihre Hinrichtung dauerte 15 Minuten – der Henker zog das Seil langsam zu. Was soll man dazu sagen?

„Meine einzige, meine geliebte, meine kleine Jana.
Ich schreibe dir heute zum letzten Mal. Glaube mir, dass ich jede Sekunde an dich denke.
Liebe deinen Vater, sei nicht böse zu ihm, mach ihm mit jeder deiner Taten Freude.
Sei gut, sei mutig, sei ehrlich – so wie dein Vater es war und wie ich versucht habe zu sein.
Ich weiß, das Leben wird dich nicht verschonen, aber lass dich nicht von ihm brechen.
Liebe das Leben, sei dankbar für jeden neuen Tag.
Hilf anderen, lebe ehrenhaft und fürchte dich nicht vor dem, was richtig ist.
Liebe die Wahrheit. Liebe die Menschen.
Ich bin bei dir – wenn auch anders, als ich es mir gewünscht hätte.
Deine Mama, die dich über alles auf der Welt liebt.
Deine Miladočka.“

Dieser Brief wurde von Gefängniswärtern aus der Haft geschmuggelt, die Milada für ihre Menschlichkeit respektierten. Das kommunistische Regime hielt die Post jedoch zurück und versteckte sie im Staatsarchiv. Ihre Tochter Jana erhielt den Brief erst 1990, ein Jahr nach der Samtenen Revolution und dem Sturz des Regimes.

Tochter von Milada Horáková, Jana Kánská, mit ehemaligen Präsident Václav Havel, 1990. Quelle ČTK

Tochter von Milada Horáková, Jana Kánská, mit ehemaligen Präsident Václav Havel, 1990 Quelle: ČTK

Spätes Gedenken

  • Seit 2004 ist der 27. Juni in Tschechien offizieller Gedenktag für die Opfer des Kommunismus.
  • Im Jahr 2017 entstand der Film „Milada“ über ihr Leben und Schicksal.
  • Im Mai 2025 malte die tschechische Künstlerin Toy Box, die öffentlich stets mit Maske auftritt, ein riesiges Wandgemälde in einer Straße mit einem Namen… na, raten Sie mal.
Mural vn Toy Box  in Praha Letná

Mural by Toy Box. Quelle: Wikipedia

Und letzte Wörter von Miladas Tod ?

„Ich gehe mit erhobenem Haupt. Ich sterbe für das, was ich geliebt habe – für mein Vaterland.“

Ehre ihrem Andenken!

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